BRÜHL. Manch eine Film-Sequenz jagt einem kalte Schauer über den Rücken, manch ein Bild brennt sich tief und unauslöschlich in das Gedächtnis ein: die auf einem Collage-Roman von Max Ernst
basierende Kammeroper "Die Nacht wird kommen ..." (A little girl dreams of taking the veil) von Erling Wold setzt die Zuschauer einer faszinierenden Fülle von Sinneseindrücken aus, die in ihrer Gesamtheit
allerdings nur schwer zu erfassen sind.
Erling Wold fand zufällig in einem kleinen Buchladen die von Max Ernsts Ehefrau Dorothea Tanning übersetzten Collage-Romane. Von der Geschichte des kleinen Mädchens, das in der Nacht, bevor es in ein
Karmeliterkloster eintritt, einen Traum hat, war er besonders gefesselt. Das Buch führt in die Abgründe der religiösen Exstase und der erotischen Wünsche.
1993 entstand schließlich die Oper, für deren Inszenierung sich der Regisseur Thomas Woschitz von Max Ernst Collagetechnik anregen ließ. Das Klagenfurter Ensemble bot anlässlich des
Max-Ernst-Wochenendes an zwei Abenden im Franziskanerhof unter freiem Himmel eine eindrucksvolle Aufführung, die ihre Intensität daraus bezieht, dass Bühne, Sänger, Musik und Videoprojektion auf
höchst raffinierte Weise zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen.
Thomas Woschitz unterlegte das in vier Kapitel gegliederte Werk des amerikanischen Experimental-Komponisten mit Filmschnipseln aus
alten Horrorfilmen und Einstellungen, die speziell für die Oper gedreht wurden. Unaufhörlich flattern die Projektionen über die falt- und teilbaren Wände der Bühne, wo sie vervielfältigt und gebrochen werden.
So entsteht im Zusammenhang mit Erling Wolds aufregender Musik ein düsterer, surrealer Albtraum um Exstase und Obsession, Emotion und Aggression.
Als Sänger und Schauspieler treten die Sopranistin Mariko Wakita, der Tenor Josef Oberauer und die elfjährige Yasmine Reissner auf, die inmitten der Flut von provozierenden und verstörenden Bildern eine
beeindruckende Präsenz beweisen, Gerhard Lehner fungiert als Erzähler.
Die Vier sind kongeniale Interpreten, die sich vorzüglich in das ungewöhnliche Konzept fügen; die beiden Sänger beeindrucken darüber hinaus mit fundierten Stimmen und prägnantem Ausdruck.
Dirigent Alexej Kornienko hielt das siebenköpfige Ensemble Collegium Musicum Carinthia sicher auf Kurs, sodass die Synchronisation von Musik und Videoprojektion perfekt gelang.